Die Viola da gamba Familie

Genese und Werdegang

S
iehe auch:
THE VIOLA DA GAMBA: RESOURCES INDEX


Fotodokumentation

"Wenn man die Instrumente nimmt nach dem Maßstab, wie sie die menschliche Stimme am besten nachahmen, und wenn man von allen Kunststücken das natürliche am meisten schätzt, so glaube ich, daß man der Viola da gamba den Preis nicht versagen kann, da sie die Stimme in allen ihren Modulationen nachahmt, sogar in ihren eigensten Nuancen, der Trauer und der Freude."

(Harmonie Universelle, 1636)

So lobt 1636 der Musiktheoretiker Marin Mersenne die Viola da gamba, dieses nobelste aller Saiteninstrumente, das während seiner Blütezeit - von 1480 bis 1780, also von der Renaissance bis zur Klassik - Hof, Kirche und Cammer schmückte. Ihres zarten, obertonreichen und modulierfähigen Klanges wegen galt die Viola da gamba seit jeher als die vortrefflichste Nachahmerin der im humanistischen Zeitalter zum Maßstab aller musikalischen Belange erhobenen menschlichen Stimme und gehörte als solche zu den kultiviertesten Instrumenten der Kunstmusik.

Eingesetzt wurde sie vorzugsweise in der Polyphonie: Einerseits in Verbindung mit der Singstimme (Motette, Chanson, Madrigal), andererseits in den weitgehend von diesen Vokalmodellen geprägten Instrumentalformen (Ricercare, Canzona, Tiento und Fantasie). Besonders in den meist kontrapunktisch gesetzten Fantasien fanden die größten Meister Englands – Byrd, Ferrabosco, Gibbons, Coperario, Lawes, Purcell – eine Form, in der sie die erhabensten Gedanken, die sublimste Poesie zum Ausdruck brachten: Qualitativ können diese Werke nicht nur mit den bewundernswerten Errungenschaften in Dichtkunst und Drama der englischen Zeitgenossen, sondern auch mit der besten Kammermusik aller Epochen verglichen werden.

Der Ursprung der Viola da gamba führt in das kulturell heterogene Spanien des 15. Jahrhunderts zurück, präziser noch, auf das Königreich von Aragon. Haltung und Spielweise stammen vom “rabab” – einem maurischen Instrument, das noch heute in Nordafrika gespielt wird, Form des Corpus, Besaitung und Bünde dagegen von der “vihuela de mano”, einem der heutigen Gitarre sehr ähnlichen spanischen Instrument. Zwischen 1470 und 1500 erscheint dieses neue Instrument sehr häufig in der aragonesischen Malerei um Valencia.

Anno 1492 ereignet sich eine schicksalhafte Wende: zum Papst erkoren, bringt der Valencianer Rodrigo Borja ( = Borgia) – jetzt Alexander VI – in seinem Gefolge die höfische Kapelle, welchz zahlreiche Violisten angehören, von Spanien nach Rom. Die Neuankömmlinge – Papst und Instrument – entfachen allenthalben Furore: der eine, in den gravierenden Umwälzungen und kämpferischen Auseinandersetzungen der italienischen Politik, der andere im musikalischen Etablissement. Bereits 1493 erstattet der Botschafter Bernardino Prospero der kunstliebenden Isabella d'Este Bericht über eine Aufführung durch ein vom Papst nach Mailand entsandtes spanisches Violenensemble: ?Die spanischen Musiker aus Rom spielten Violen fast so groß wie ich; ihr Spiel war so süß...?, woraufhin Isabella d'Este eine Anzahl ?viole a la spagnola? vom renommierten Lautenmacher, Giovanni Kerlino in Brescia anfertigen läßt. Innerhalb kürzester Zeit erklingt die Viola da gamba auf der ganzen Halbinsel, die sie als neue Heimat begrüßt.

Auf dem fruchtbaren Boden der italienischen Renaissance gedeihen diese neuen, großen, aber süßen Violen bemerkenswert schnell. Schon 1528 in seinem Handbuch für den Höfling (Il Cortegiano) betrachtet Baldassare Castiglione das Spielen auf den Violen als unerläßlich für die Erziehung eines Edelmannes: “Musik ist nicht nur eine Zierde, sondern notwendig für einen Höfling. Sie soll vor allem in der Gegenwart der Damen geübt werden, weil sie die Menschen für allerlei Gedanken empfänglich macht... Und nicht wenig entzückend ist die Musik von vier viole da arco , welche sehr zart (süß) und kunstvoll ist.”

Eine beträchtliche Anzahl von Lehrbüchern und Traktaten aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts - also, zu einer Zeit, in welcher der Buchdruck äußerst teuer war – zeugen von der raschen Verbreitung und hohen Popularität des neuen Instrumentes. Diese Werke erstaunen durch die bis dahin unbekannte Reife der Spieltechnik. In der Tat sucht Silvestro Ganassis fortschrittliches Lehrbuch für Viola da gamba – “Regola Rubertina” (1542/3) – im pädagogischen Bereich bis Leopold Mozarts Traktat (1756) vergebens Seinesgleichen. Unter den technischen Anforderungen, die Ganassi lehrt befinden sich:

  1. Das Spielen schneller Passagen in den höchsten Lagen.
  2. Kunstvoll angebrachte Doppelgriffe und Akkorde, auch in den hohen Lagen.
  3. Forte und piano
  4. das Streichen beim Steg (sul ponticello); das Streichen beim Griffbrett (sulla tastiera): diese sehr verschiedenen Klangfarben werden wegen des Ausdrucks der Komposition eingesetzt.
  5. Vibrato: und zwar, mit den Fingern der linken Hand auf dem Griffbrett sowie mit dem Bogen
  6. Das Binden mehrerer Noten mit einem Bogenstrich (eher als “portato”)
  7. Das Spielen einer Melodie in verschiedenen Lagen (wegen der Klangfarbe).
  8. Pizzicato: das Zupfen mit der rechten Hand
  9. Improvisation und Verzierung
  10. Die Begleitung eines Chansons: der Spieler singt eine Stimme, spielt gleichzeitig zwei bis drei Stimmen auf der Viola da gamba!

Um des Ausdrucks willen empfiehlt Ganassi dem Spieler, bei traurigen Stücken die Augen zu rollen, das Antlitz zu entstellen, sogar nötigenfalls das Zeitmaß zu wechseln! Ganassi versteht es offenbar als seine höchste Aufgabe, den Reichtum an Empfindungen und Leidenschaften dieser meist textierten Werke durch alle verfügbaren Kunstfertigkeiten – die theatralischen nicht ausgeschlossen! – dem Zuhörer zuteil werden zu lassen.

Noch ein bedeutendes Traktat stammt aus spanischer Hand: Diego Ortiz (“Tratado de glosas”, 1553) bespricht die Kunst des Diminuirens auf der Viola da gamba zur Begleitung eines Cembalos. Drei Methoden des Improvisierens zum Cembalo werden beschrieben. Die erste besteht darin, einen cantus firmus durch spontan erfundene Kontrapunkte sowohl vom Violisten als auch vom Cembalisten– aus dem Stegreif, versteht sich - zu schmücken. Die zweite Methode bedient sich einer existierenden Komposition, ein Chanson oder Madrigal, die nach den Regeln dieser Kunst verziert wird. Die dritte Methode versetzt uns in Staunen: benannt “Freie Fantasie” erklärt Ortiz, daß man mit einigen Akkorden auf dem Cembalo anfängt, zu denen der Violist einen frei improvisierten Kontrapunkt webt, bis der Cembalist nach und nach selbst mit anderen Kontrapunkten einsetzt, in dieser Art wird fortgesetzt. Mehr darüber kann Ortiz nicht lehren, weil jeder nach seiner Art spielt (offenbar ähnlich wie bei den heutigen “jazz” Improvisationen). Bedauerlich, daß diese Improvisationskunst für immer verlorengegangen ist! Desto mehr bewundern wir die umfassende Ausbildung der Musiker dieser Epochen.

Obwohl diese hohe Vollendung des instrumentalen Könnens im Italien des 16. Jahrhunderts zunächst überraschen mag, würde jeglicher Zweifel spätestens bei der ersten Begegnung mit den vortrefflichen Errungenschaften des Quattrocento und Cinquecento in Malerei, Bildhauerei, Architektur und Literatur ausgeräumt sein: eine Kultur, die solche Werke hervorzubringen wußte, hätte sich mit einer primitiveren musikalischen Praxis kaum abgegeben, eben einem Gebiet – die Musik – dem diese Gesellschaft so viel Bedeutung beimaß.

Aus den Instrumentenbauzentren Italiens – und deren gibt es nicht wenige – kommen erwartungsgemäß den Erungenschaften in den bildenden Kunst vollends ebenbürtige Schöpfungen zustande. Historisch gesehen dürfte die Stadt Cremona als erstes Epizentrum gelten: sie übernimmt etwa gegen Anfang des 16. Jahrhunderts, hauptsächlich kraft der unvergleichlichen Wundertaten der Amati–Familie, die Führung bis Ende des 18. Jahrhunderts. Die Dynastien der Amati, Stradivarius, Guarneri, Bergonzi, Ruggieri – allesamt begnadete Koryphäen – erheben den Namen Cremona in den Bereich der himmlischen Wonne! Neben Cremona tritt die Stadt Brescia in die Geschichte des Geigenbaus mit den hervorragenden Arbeiten Gasparo da Salòs und Gian Paolo Magginis in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein; sie gelten heute noch als hervorragende Instrumente für Solisten. Bald floriert in Mailand, Venedig, Mantua, Bologna, Florenz und später Rom die holde Kunst der Luthiers. Es ist wichtig zu bemerken, daß all diese Zentren von 1550 bis 1750 sowohl Violen da gamba als auch Violen da braccio von einer bis heute unerreichter Qualität hervorbrachten.

Die Kunst des Spielens und des Bauens verbreiten sich Hand in Hand – von Italien ausgehend – nördlich der Alpen. Hans Gerle hält es schon 1532 für notwendig, ein Traktat für die wohlhabenden Bürger in Deutschland herauszugeben, die die Viola da gamba traktieren wollten – eine starke Nachfrage dürfte es gegeben haben. Gebannt von den Ideen des italienischen Humanismus, bringen die kunstbeflissenen Renaissance-Fürsten François I († 1547), und Henry VIII († 1547) nicht nur führende Maler, Bildhauer und Denker, sondern auch Komponisten und Instrumentalisten nach Frankreich, bzw. nach England. Zu einer Zeit, wo der neoplatonische Gedanke in aller Köpfe, Petrarca und Tasso in aller Munde waren, befand sich die Viola da gamba in aller Hände!

Nachwort

"Wir hatten für unsere ernste Musik Fantasien für 3, 4, 5 und 6 Stimmen zur Orgel, gemischt ab und zu mit etlichen Pavanen, Allemanden, feierlichen und süß entzückenden Ayres; es wäre alles so viele pathetische Geschichten, rhetorische und sublime Diskurse, subtile und scharfsinnige Argumentationen, so passend und übereinstimmend mit den innerlichen, geheimen und intellektuellen Fähigkeiten der Seele und des Geistes, daß es der Sprache an Wörtern mangelt, um sie gebührend zu rühmen. Was ich höchstens sagen kann, ist, daß sie mir (und vielen anderen) wie göttliche Entzückungen gewesen sind, die unsere ungestümen Wesen und Leidenschaften (für die Zeit) stark bändigten, und uns zu Standhaftigkeit, Gravität und guter Laune verhalfen und dadurch für himmlische und göttliche Einflüsse empfänglich machten. Bedauerlich, daß wenige dies glauben, weit mehr aber, daß so wenige es wissen."

(Thomas Mace, Musick's Monument, 1676)


The Viola da gamba in Italy

The Italian Renaissance viols:
Music for Charles V and Philip II

The Viola da gamba in England

The Viola da gamba in Austria

The Viola da gamba in Germany

The Viola da gamba in France


updated 18.06.2011